Notizen: Thales
Thales hat die Ehre, von Platon als der jahrtausendealter Archetyp des weltfremden Professors bezeichnet zu werden. Laut Platon fiel er in einen Brunnen während er mit dem Blick zu den Sternen umherwanderte und wurde ausgelacht. 1
Aristoteles zeichnet hingegen ein anderes Bild von ihm. Es war Thales, der den ultimativen Beweis für den Wert allen menschlichen Strebens – vornehmlich des Geistes – erbrachte: Er konnte seine Ideen zu Geld machen. Thales bewies seine Weisheit, indem er durch astronomische Berechnungen eine reiche Olivenernte voraussah, frühzeitig alle verfügbaren Ölpressen günstig mietete und sie zur Erntezeit gewinnbringend weitervermietete, um zu zeigen, dass Philosophen leicht reich werden könnten – wenn es ihr Ziel wäre.2
Natürlich wissen wir nicht, ob Thales tatsächlich in einen Brunnen gefallen ist oder ob er der John Rockefeller der Ölpressen im antiken Griechenland war. Ferner wissen wir nicht, was seine eigentlichen Theorien waren. Wir haben nur einige Fragmente von anderen Autoren, die über Thales geschrieben haben. Gleichwohl hat die Geschichtsfigur Thales, geschaffen durch seine Darstellungen in Büchern von Platon, Aristoteles, Nietzsche und anderen sein eigene Dasein.
Warum Thales für uns wichtig ist
Thales gilt weithin als der Beginn der westlichen philosophischen Tradition. Wenn die Ursprünge einer Sache nicht einfach etwas sind, das nur zurückgelassen wird, sondern etwas, das unauslöschliche Spuren hinterlässt, dann kann das Verständnis der Natur von Thales' Theorie uns etwas über die westliche Philosophie als Ganzes lehren.
Gemäß dieser Überlieferung ist Thales für die Geschichte der Philosophie aufgrund einer einzigen "ungereimten Einfalle" wichtig: dass alles Wasser ist. Wir haben nur eine Quelle für diese Aussage:
Denn es muß eine gewisse Natur vorhanden sein, entweder eine oder mehr als eine, aus welcher das übrige entsteht, während jene erhalten bleibt. Doch über die Menge und die Art eines derartigen Prinzips stimmen nicht alle überein. Thales, der Urheber solcher Philosophie, nennt es Wasser.3
Es ist eine offene Frage, ob Thales meinte, dass alle Dinge eigentlich Wasser sind (wie Aristoteles es darstellte), oder ob die Erde nur ihren Ursprung aus dem Wasser hat (aber keine weitere Beziehung zum Wasser mehr besteht). Im ersteren Fall beschäftigen wir uns mit einer philosophischen Idee. Aber warum ist solche Idee bahnbrechend?
Nietzsche gibt drei Antworten:
- Erstens, es ist eine Aussage über den Ursprung der Dinge. Im aristotelischen Sinne ist Wasser Arche (ἀρχή, Ursprung).
- Zweitens, diese Theorie stützt sich für ihre Rechtfertigung nicht auf Religion oder Mythos.
- Und drittens, sie enthält das philosophische Konzept, dass alles eins ist.
Die griechische Philosophie scheint mit einem ungereimten Einfalle zu beginnen, mit dem Satze, daß das Wasser der Ursprung und der Mutterschooß aller Dinge sei: ist es wirklich nöthig, hierbei stille zu stehen und ernst zu werden? Ja, und aus drei Gründen: erstens weil der Satz etwas vom Ursprung der Dinge aussagt und zweitens, weil er dies ohne Bild und Fabelei thut und vom Wasser redet und endlich drittens, weil in ihm wenngleich nur im Zustande der Verpuppung der Gedanke enthalten ist: alles ist eins. Der erstgenannte Grund läßt Thales noch in der Gemeinschaft mit Religiösen und Abergläubischen, der zweite aber nimmt ihn aus dieser Gesellschaft und zeigt uns ihn als Naturforscher, aber vermöge des dritten Grundes gilt Thales als der erste griechische Philosoph.
Sokrates: Wie auch den Thales, o Theodoros, als er, um die Sterne zu beschauen, den Blick nach oben gerichtet in den Brunnen fiel, eine artige und witzige thrakische Magd soll verspottet haben, daß er, was am Himmel wäre, wohl strebte zu erfahren, was aber vor ihm läge und zu seinen Füßen, ihm unbekannt bliebe. Mit diesem nämlichen Spotte nun reicht man noch immer aus gegen Alle, welche in der Philosophie leben.
man schreibt sie Thales wegen seiner Weisheit zu, doch gibt sie eine allgemeingültige Einsicht wieder: als man ihm wegen seiner Armut vorhielt, die Philosophie sei eine unnütze Beschäftigung, da, so sagt man, habe er aus der Berechnung der Gestirne erschlossen, daß eine reiche Olivenernte bevorstehe; er habe noch im Winter, als er gerade über bescheidene Mittel verfügte, für sämtliche Ölpressen in Milet und auf Chios Anzahlungen hinterlegt und sie für einen geringen Betrag gemietet, da niemand ein höheres Angebot machte. Als aber die Ernte kam und zur gleichen Zeit und plötzlich viele Ölpressen gesucht wurden, habe er sie nach Bedingungen, wie sie ihm gefielen, vermietet; er habe viel Geld gewonnen und bewiesen, daß es den Philosophen leicht ist, reich zu werden, wenn sie wirklich wollen – jedoch dies sei es nicht, worauf sie ihr Streben richten. Thales soll so einen Beweis seiner Weisheit gegeben haben.
Denn es muß eine gewisse Natur vorhanden sein, entweder eine oder mehr als eine, aus welcher das übrige entsteht, während jene erhalten bleibt. (c) Doch über die Menge und die Art eines derartigen Prinzips stimmen nicht alle überein. Thales, der Urheber solcher Philosophie, nennt es Wasser (weshalb er auch erklärte, daß die Erde auf dem Wasser sei), wobei er vielleicht zu dieser Annahme kam, weil er sah, daß die Nahrung aller Dinge feucht ist und das Warme selbst aus dem Feuchten entsteht und durch dasselbe lebt (das aber, woraus alles wird, ist das Prinzip von allem); hierdurch also kam er wohl auf diese Annahme und außerdem dadurch, daß die Samen aller Dinge feuchter Natur sind, das Wasser aber für das Feuchte Prinzip seiner Natur ist. Manche meinen auch, daß die Alten, welche lange vor unserer Generation und zuerst über die göttlichen Dinge geforscht haben (die ersten Theologen), ebenso über die Natur gedacht hätten; denn den Okeanos und die Tethys machten sie zu Erzeugern der Entstehung und den Eid der Götter zum Wasser, das bei den Dichtern Styx heißt; denn am ehrwürdigsten ist das Älteste, der Eid aber ist das Ehrwürdigste. Ob nun dies schon eine ursprüngliche und alte Meinung über die Natur war, das möchte wohl dunkel bleiben; Thales jedoch soll sich auf diese Weise über die erste Ursache ausgesprochen haben. Den Hippon wird man wohl wegen des geringen Wertes seiner Gedanken nicht würdigen, unter diese Männer zu rechnen. Anaximenes und Diogenes dagegen setzen die Luft als früher gegenüber dem Wasser an und als vorzüglichstes Prinzip unter den einfachen Körpern, Hippasos der Metapontiner und Herakleitos der Ephesier das Feuer, Empedokles die vier Elemente, indem er zu den genannten die Erde als viertes hinzufügte. Denn diese blieben (nach seiner Ansicht) immer und entstünden nicht, außer in Hinsicht der größeren oder geringeren Menge, indem sie zur Einheit verbunden oder aus der Einheit ausgeschieden würden. Anaxagoras aber, der Klazomenier, welcher der Zeit nach früher ist als dieser, seinen Werken nach aber später, behauptet, daß die Prinzipien unbegrenzt viele seien; denn ziemlich alles Gleichteilige, wie Wasser und Feuer, entstände und verginge so, nämlich nur durch Verbindung und Trennung, auf andere Weise aber entstehe und vergehe es nicht, sondern bleibe ewig.